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Vier Berge für ein Halleluja

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Vierbergelauf

Vier Berge für ein Halleluja

Vierbergelauf – Pilger beim Vierbergelauf in Kärnten
Es ist die wohl härteste Wallfahrt im Alpenraum: der Vierbergelauf in Kärnten. 52 Kilometer auf und ab, über vier Gipfel hinweg. Ein Fußmarsch von Mitternacht fast bis zum Abend, über 1500 Höhenmeter, bei Wind und Wetter. So plagen sich die Pilger seit Jahrhunderten.

 

Es ist eine dieser Nächte im April, in denen man ein bisschen etwas von Frühling oder gar vom Frühsommer erahnen kann. Ein lauer Wind weht von Süden her, der Mond leuchtet über den Kärntner Bergen, und am Abend lässt es sich sogar draußen sitzen. Aber sie sagen, dass es regnen wird. Es ist zwei Stunden vor Mitternacht, und eine Gruppe von 30 oder 40 Wallfahrern wartet an einer Straße bei Maria Saal in der Nähe von Klagenfurt auf den Bus. 

Die Leute reden nicht viel, jeder hängt seinen Gedanken nach. Die einen fragen sich vielleicht, was sie erwartet, die anderen wissen, was auf sie zukommt. Dass es anstrengend wird. Vermutlich nass und ungemütlich. Aber auch besonders. „Ich war vergangenes Jahr schon dabei“, flüstert die 32-jährige Britta aus Villach, „und es war ein großartiges Erlebnis.“

Der Dreinagelfreitag gehört den Berglern.

In ihrem Rucksack hat sie eine Thermoskanne mit heißem Tee, eine Brotzeit und eine Dose Energydrink. Die sei für den toten Punkt, der irgendwann am nächsten Tag kommen werde, wie sie prophezeit. Dann, wenn die Füße schmerzen, die Beine schwer werden und der Kopf nicht mehr will.

Zwanzig Minuten dauert die Busfahrt, bevor nördlich von Klagenfurt im Schein der Nacht der Magdalensberg auftaucht. Ab jetzt geht es nur noch zu Fuß weiter. „Willkommen beim Vierbergelauf“, sagt einer, der auf seiner Schulter ein Kreuz nach oben trägt. 

Auch wenn mancher den Vierbergelauf als Sport betrachtet: Für die echten Bergler ist und bleibt er eine Wallfahrt.

Andacht, das ist Innehalten. Die vier Berge zwingen einen zur Ruhe und zum Nachdenken. Was einem der Weg bringt, das muss jeder selber herausfinden.

Der Regen macht manche Strecke zur Rutsche – da heißt es Obacht geben.

Willkommen bei einer der ältesten Wallfahrten im Alpenraum, die seit über 500 Jahren ununterbrochen stattfindet. Jedes Jahr am zweiten Freitag nach Ostern, dem „Dreinagelfreitag“, benannt nach den drei Nägeln, mit denen Jesus ans Kreuz geschlagen wurde, pilgern Tausende Kärntner über vier Berge: den Magdalensberg, den Ulrichsberg, den Veitsberg und den Lorenziberg. Das sind 52 Kilometer mit 1500 Höhenmetern und 16 Stunden Gehzeit.

Insgesamt gehören drei Andachten und fünf heilige Messen zum Vierbergelauf.

Was für eine gespenstische Szenerie! Eine schier endlose Menschenschlange schiebt sich die Serpentinen hinauf Richtung Gipfel, eingetaucht in den irrlichternden Schein aus Taschen- und Stirnlampen. „Teil dir deine Kraft ein“, sagt der mit dem Kreuz, „und red nicht so viel. Geh in dich. Lauf für den Herrgott.“ Dann verschwindet er in der Dunkelheit.

1059 Meter hoch ist der Magdalensberg, wo sie oben in der Kirche um Mitternacht einen Kreuzweg beten. Es ist die erste von drei Andachten und fünf heiligen Messen während des Vierbergelaufs. Die Leute quetschen sich in die Bänke, überall stapeln sich Rucksäcke.

Der Pfarrer erbittet den Segen für die „Bergler“, wie die Wallfahrer hier genannt werden, und verteilt großzügig sein Weihwasser auf dem heiligen Berg. Nicht nur den Berglern sind ihre vier Berge „heilig“, schon die Kelten sollen vor Jahrtausenden hier ihre Fruchtbarkeitskulte vollzogen haben.


Zum Vierbergelauf gehören drei Andachten und fünf heilige Messen. Manche umrunden die Kirche dreimal im Uhrzeigersinn und hoffen, dass dieses Ritual ihren Gebeten Nachdruck verleiht.

Die 60-jährige Emma aus St. Veit, die bereits zum 18. Mal mitläuft, hat sich damit lange beschäftigt. „Der Jahreslauf beginnt und endet hier“, sagt sie, „wir durchwandern heute einen Tag, ein Jahr, ein ganzes Menschenleben.“

Ein anderer Vierbergeläufer hat mitgehört und winkt kopfschüttelnd ab: „Da sind immer auch ein paar Esoteriker dabei, die viel zu viel in die Strecke hineininterpretieren. Was der Weg einem bringt, muss jeder für sich selber herausfinden.“ Um eines immerhin ist Emma zu beneiden: Sie hat ihren Platz im Paradies sicher. Den verheißt die Sage nämlich jedem, der drei Mal über die vier Berge läuft.

Die Nazis hatten den Vierbergelauf verboten. Drei Frauen brachen trotzdem auf – sonst wäre der Brauch untergegangen.

Jetzt geht es steil bergab durch einen dichten Wald. Alle sind konzentriert, weil der Weg durch die Kegel der Taschenlampen flackert wie ein Lagerfeuer, und der Bergschuh immer wieder unversehens gegen eine Wurzel oder einen Stein donnert. Etwa 4500 Wallfahrer sind in diesem Jahr dabei, der Rekord liegt bei rund 10.000.

Die kleinste Gruppe, die jemals aufbrach, waren drei Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs das Verbot der Nationalsozialisten ignorierten, über die Berge zu ziehen. Vielleicht muss ihnen die Welt dankbar sein – heißt es doch, dass sie untergeht, sollte der Brauch des Vierbergelaufs einmal aufhören.


Der Lauf startet am Magdalensberg, rund 15 Kilometer nördlich von Klagenfurt. Von dort fährt auch ein Bus hierher. Der nächste Ort mit Fernbahnhof ist St. Veit an der Glan.

Erstmals urkundlich erwähnt wird die Tradition in einer Aufzeichnung des Wiener Humanisten Ladislaus Sunthaim aus der Zeit um 1500. Darin heißt es: „Am Tag der Kreuzesnägel Christi laufen viele Kärntner Frauen mit bloßen Füßen in einem Tag über vier Berge. Diese Frauen stammen aus der Umgebung des Magdalenenberges, des Ulrichsberges, des Lorenziberges und des Veitberges. Sie laufen schweigend und glauben, so alles erlangen zu können, was sie erbitten, und es handelt sich um eine große Entfernung.“

Der Kärntner Brauchtumsexperte Heimo Schimmerl weiß, dass um diese Zeit zwei Familien aus der Nähe vom bayerischen Bamberg hierher nach Kärnten gezogen sind und mit ihrem erwirtschafteten Reichtum die Kirchen am Magdalensberg und Veitsberg erweitern ließen.

„Daher nehmen wir mit ziemlicher Sicherheit an“, so der Historiker, „dass die Wallfahrt um diese Zeit entstanden sein muss. Es kann aber auch sein, dass der Vierbergelauf einen heidnischen Ursprung hat, wobei wir das nicht belegen können.“ 

 


Wer auf dem Weg die rechten Kräuter sammelt, ist nach altem Glauben sicher unterwegs.

Unten im Tal geht es für die Läufer über das Zollfeld und vorbei am Gasthof Fleißner, der extra mitten in der Nacht geöffnet hat. Hier gibt es Glühwein. In der Dorfkirche von Pörtschach wird dann pünktlich um vier Uhr am Morgen eine Messe gefeiert.

Nur rund 100 Pilger passen in das Gotteshaus, die anderen ziehen draußen vorbei. Manche umrunden die Kirche vorher drei Mal im Uhrzeigersinn und hoffen darauf, dass dieses Ritual ihren Gebeten noch etwas mehr Nachdruck verleiht.

Die Pilger pflücken auf jedem Berg eine bestimmte Pflanze und stecken sie an ihren Wanderstab.

Drinnen predigt der Pfarrer über die Bedeutung des Pilgerns. Josef ist einer der Kreuzträger und sitzt vorne auf der ersten Bank. An seinem Stab hängt ein Buschen Bärlapp, den er am Magdalensberg gepflückt hat. Am Veitsberg kommt dann Buchs dazu, am Lorenziberg Wacholder.

Und auf dem nächsten Gipfel, auf den es jetzt dann hinaufgeht, dem 1022 Meter hohen Ulrichsberg, pflücken sie Efeu. Im Aberglauben haben alle diese Pflanzen besondere Kräfte. So ist etwa das immergrüne Efeu ein Zeichen der Stärke und des Überlebenwollens. 


Vom Magdalensberg bringen die Pilger den Bärlapp mit, er soll das Gehen erleichtern. Seine gelben Sporen wurden früher „Hexenmehl“ genannt und zum Schutz gegen Blitze ins Feuer gestreut.

Auf dem Ulrichsberg wird Efeu gesammelt – genauer gesagt das Karfunkellaub, ein Efeu mit roter Unterseite. Im Aberglauben soll es dem Teufel seine Macht rauben, in der griechischen Mythologie war die immergrüne Pflanze ein Sinnbild der Stärke und des Lebenswillens.

Auf dem Veitsberg kommen dann Buchszweige dazu. Ihr Immergrün ist ein Symbol der Unsterblichkeit und soll gegen böse Geister wirken.

Und vom Lorenziberg bringen die Bergler Wacholder mit, der vor Schwindel und Müdigkeit schützen soll. Nach altem Brauch wird das Berglerlaub zu Hause in den Herrgottswinkel gestellt oder auf dem Dachboden aufgehängt, um Unheil fernzuhalten.

„Wenn ich das überlebe, dann kann ich noch meinen Enkeln davon erzählen“, sagt der Programmierer Klaus aus St. Sebastian, während er in der gotischen Kirchenruine auf dem Ulrichsberg die Blasen an seinen Füßen verpflastert. Er ist inzwischen seit sechs Stunden unterwegs und hat den zweiten von vier Bergen in einem mühsamen, steilen, irgendwie nicht enden wollenden Anstieg erklommen. Aber Halbzeit ist noch lange nicht.

Der Gedenkstein hier markierte ein heidnisches Heiligtum. Später baute man eine Kirche drumherum.

Neben ihm in der Ecke liegt etwas Getreide, zu dem eine Frau ein paar Ähren legt und sich von den anderen etwas mitnimmt. Der Getreidetausch ist ein weiteres Bergler-Ritual. Sie tausche, sagt die Frau, damit sie von dem geweihten Getreide etwas in ihr Saatgut mischen könne, um eine gute Ernte zu erzielen. „Allein dass die Ähren hier liegen, weiht sie“, sagt sie. 

Der Gedenkstein, der an dieser Stelle ein heidnisches Heiligtum markierte, wurde beim Neubau der christlichen Kirche im 15. Jahrhundert vorsichtshalber gestürzt eingemauert, um ihm die Kraft zu entziehen und um vielleicht auch der abergläubischen Bevölkerung zu signalisieren, dass die alten Götter gestürzt sind.


Zum Dank oder als Bitte – oder beides: Viele zünden ein Opferlicht an.

„Nein, nein, abergläubisch bin ich nicht“, versichert Klaus, der mit den Blasen, „aber man spürt irgendwie, warum hier schon die Römer und die Menschen davor heilige Handlungen vollzogen haben.“ Seine malträtierten Füße schlagen bedauerlicherweise nicht auf die besondere Aura der alten Steine an, ein paar Blutstropfen rinnen über die Ferse in den Wanderschuh.

Auf dem Weg nach unten beten die Kreuzträger ausnahmsweise nicht, sondern rennen geradezu in Richtung Karnberg, wo morgens um sechs Uhr auf einer Wiese am Ortsrand frisch gezapftes Bier verkauft wird, dazu gebratene Würstchen und Kuchen.

Die Freiluftmesse zelebriert der örtliche Bischof persönlich und weist zur Sicherheit darauf hin, dass es sich beim Vierbergelauf keineswegs um eine heidnische Tradition handle – wohl wissend, dass die Kirche nie eine rechte Freude an dem Brauch hatte, ihn aber wegen der tiefen Volksfrömmigkeit letztlich nicht verbieten konnte.

Dass der Schreiner Manfred aus Maria Saal unterdessen seinem Bierbank-Nachbarn den aktuellen Mondkalender erklärt, bekommt der Bischof zum Glück nicht mit. 


Der Mond gibt das Datum vor: Der Vierbergelauf findet immer am zweiten Freitag nach Ostern statt, dem sogenannten „Dreinagelfreitag“. Dieser kann zwischen dem 3. April und dem 7. Mai liegen.

Am Ende donnern Böllerschüsse, die Kirchenglocken läuten, und es geht weiter nach Zweikirchen. Mit Tagesanbruch haben sich am Wegesrand die ersten Kinder strategisch günstige Plätze gesichert. Denn die Taschen der Bergler sind traditionell immer gut gefüllt mit Süßigkeiten. Die Körbchen der kleinen Zaungäste füllen sich da schnell, eine Ausbeute von mehreren Kilogramm je Kind ist keine Seltenheit. 

Das letzte Stück zieht sich, als wolle der Himmel endgültig die Kräftigen von den Lahmen trennen.

In Zweikirchen wartet der Dorfpfarrer mit den Ministranten am Ortseingang, um die Wallfahrer „einzuholen“. Er hält den Ankömmlingen das Kreuz entgegen und berührt damit die Kreuze der Pilger. „Kreuzbusseln“ heißt das und findet an jedem Ortseingang statt.

Für die Messe hat der Pfarrer den Kinderchor organisiert, und er ermuntert die Wanderer, kräftig mitzuklatschen. „Steht auf, tanzt mit uns, denkt nicht daran, hier in der Kirche zu schlafen“, scherzt er und versichert, dass der liebe Gott auch die lieb hat, die draußen bereits weiter Richtung Veitsberg ziehen.

 


Jeder Bergler hat Zuckerl für die Kinder dabei. Die suchen sich die besten Plätze.

Würden sie ahnen, was ihnen dort bevorsteht, hätten sie in der Kirche wohl ein bisschen gerastet. Denn dieser Aufstieg, der stets um die Mittagszeit zu bewältigen ist, heißt „Teufelsriese“, was die Qualen beschreibt, aber auch die Distanz, die bis auf 1160 Meter zu überwinden ist. Und dann ist da auch noch die Blutwiese kurz vor dem Ziel, die sich hinzieht, als wolle der Himmel an dieser Stelle endgültig die Kräftigen von den Lahmen trennen.

Eine letzte Andacht. Ein letzter Schnaps.

Wer eine Warze hat, soll hier beim Gebet davon befreit werden, was Klaus aus St. Sebastian lieber auf seine Blasen an den Füßen übertragen würde, jedoch ohne Erfolg. Jetzt bleibt ihm nur noch die Wunschglocke: Wer oben in der kleinen Kirche die Glocke läutet, darf darauf hoffen, dass ein Wunsch in Erfüllung geht. Klaus zieht gleich mehrfach.

Drei Berge sind geschafft, dann setzt der Regen ein, der bis zum Ende des Tages nicht mehr aufhören soll. Doch echte Bergler lässt das nicht verzagen. Auch der Regen hat für sie sein Gutes. Denn diejenigen, die beim Vierbergelauf klatschnass werden, was nach drei Stunden Dauerguss unvermeidlich ist, bleiben im folgenden Jahr gesund. Sagen sie. Seit 500 Jahren, von Generation zu Generation. Da muss doch was dran sein.


„Teil dir deine Kraft ein. Red ned so viel. Geh in dich. Lauf für den Herrgott!“


Auf dem Lorenziberg wird eine letzte Andacht gefeiert. Dann noch eine halbe Stunde bergab, ein Schnapserl an einem der Stände am Wegrand, und noch eines, und ein vorletztes, und ein letztes, dann auf den Parkplatz, in den Bus, auf den Sitz – und durchatmen. 52 Kilometer, 1500 Höhenmeter, 16 Stunden. Eine Qual, ja, aber auch ein unvergessliches Erlebnis.

Zumal mit modernen Wanderschuhen und atmungsaktiver Kleidung und zugleich mit dem Wissen, dass diesen Weg Abertausende Menschen in all den Jahrhunderten zuvor gegangen sind. Manche barfuß und bitterarm und von ihrem harten Leben gezeichnet.

Was immer sie getrieben hat, welcher Kummer, welches Leid, welche Hoffnungen und Wünsche – eine Erfahrung haben die Bergler damals wie heute gemacht: Auch der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt, und was du für den Gipfel hältst, ist nur eine Stufe. 

Text: Peter Hummel • Fotos: Tom Lamm • Illustrationen: Carina Springer

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