Maibaum aufstellen

Mit Leidenschaft und Muskelkraft

Der Maibaum in Egmating wird von mehreren Burschen in Tracht aufgestellt
Der prächtige Maibaum ist der Stolz jedes Dorfs, und das Aufstellen ein Großereignis. Im oberbayerischen Egmating errichten ihn die Burschen noch so, wie es ihre Großväter taten – allein mit Muskelkraft.

 

Der Boden ist noch trocken, Gott sei Dank. Der 1. Mai beginnt im oberbayerischen Egmating mit Sonne und blauem Himmel. Heute soll der neue Maibaum auf dem Festplatz aufgestellt werden, und hier im Dorf machen sie es noch ganz traditionell: allein mit der Muskelkraft der Burschen, und unter den euphorischen Anfeuerungsrufen der Zuschauer. Regennasser Boden ist das Letzte, was sie da brauchen können.

Das traditionelle Maibaumaufstellen ist ein Spektakel, das in vielen Gemeinden und Städten des Alpenlands eine lange Geschichte hat. Und es ist der Höhepunkt einer Mordsarbeit, die bereits Wochen vorher beginnt.

Schon Anfang März ziehen die Burschen hinaus in die umliegenden Wälder, um den perfekten Baum zu finden. Ein Nadelbaum muss es sein, gerade gewachsen, natürlich möglichst hoch und stark. Und die Egmatinger sind fündig geworden: In diesem Jahr haben sie sich ein Prachtexemplar vor das Burschenstüberl, ihre Vereinshütte, geholt – fast vierzig Meter lang ist die Fichte und beinahe drei Tonnen schwer.

Ein Maibaum wird von zwei Männern bemalt
Bevor der Maibaum sein traditionelles weiß-blaues Muster bekommt, muss er sauber grundiert werden.

Ein Maibaum wird von einem Mann abgeschliffen
Gut, dass der Egmatinger Burschenverein auch einen Schreinermeister hat: Beim Josef Maier sitzt jeder Handgriff.

Eine Eisenschelle des Maibaums wird blau bemalt
Auch die Eisenschelle, die später den Maibaum in seiner Verankerung halten soll, wird sorgfältig vorbereitet und lackiert.

Damit haben sie sich eine Menge Arbeit aufgeladen. Denn hier in Egmating ist das Herrichten des Baumes noch ganz Handarbeit, eine fast künstlerische noch dazu. Sorgfalt ist Pflicht, denn die Oberfläche muss schön glatt sein, und vor allem ganz gerade. Gut, dass einer der Burschen Schreinermeister ist, der Josef Maier. Kritisch beschaut er die schöne Fichte, wie sie da aufgebockt liegt, und beginnt mit den ersten Handgriffen.

Vierzig Meter Baum, allein das Schleifen wird mehrere Tage dauern. Dann das Zuschneiden, Bohren, Grundieren, Bemalen: Ein Mann allein schafft das nicht. In den Wochen bis zum 1. Mai müssen darum auch die anderen Burschen mit anpacken, jeden Abend sind ein paar zur Schicht eingeteilt.

Derzeit gehören 85 junge Männer dem Egmatinger Verein an, fast die Hälfte davon ist aktiv. Das Engagement und die Arbeit sind natürlich ehrenamtlich. Ab dem 16. Geburtstag kann ein junger Mann dem Burschenverein beitreten. „Bei uns ist die ganze Bandbreite vertreten“, freut sich auch Markus Kätzlmeier, der Vorsitzende: „Vom Student bis zum Geschäftsführer, alles da.“

Und die müssen dann halt abends, nach dem normalen Berufsgeschäft, unterm Vordach des Burschenstüberls nochmal ran. Der Stephan Obermeier zum Beispiel, im richtigen Leben System- und Anlagen-Ingenieur, widmet sich gerade dem Bemalen der großen Eisenschelle, die später eng um den Baumstamm gelegt wird, damit er sicher in der Verankerung steht.

Nägel werden in einen Maibaum-Stumpf geschlagen

Nach der Spätschicht geht’s lustig zu. Jetzt haben sich die fleißigen Burschen ein Bier verdient.

Die Stimmung bei der Arbeit ist ausgelassen. Drüben am Holzpflock haben sie gerade eine große Gaudi: Da wird viel gelacht, als die Burschen reihum versuchen, Nägel in einen Holzpflock zu hauen ­– nicht mit einem Hammer, sondern einem Werkzeug, das gar nicht dafür taugt. Natürlich sitzt da nicht jeder Schlag. Gegröle und Gelächter, wenn einer der jungen Männer danebenhaut und den Nagel verbiegt, dazu ein Schnaps.

Trotz der guten Laune liegt immer ein bisschen Anspannung in der Luft: Der künftige Maibaum darf nie aus den Augen gelassen werden. Schließlich ist das „Maibaumstehlen“ alte Tradition in Bayern: Die Burschen der Nachbargemeinde warten nur auf die rechte Gelegenheit, den unfertigen Maibaum zu klauen.

Der Baum wird gut bewacht. Die Burschen vom Nachbardorf warten ja nur darauf, ihn zu klauen.

Manche Burschenvereine haben sich darauf spezialisiert, sogar den riesigsten, bestens bewachten Baum zu entführen. Wird der Stamm über die Gemeindegrenze gebracht, gilt das Maibaumstehlen als erfolgreich – die Unaufmerksamen müssen ihn dann gegen Bier und eine zünftige Brotzeit wieder auslösen. Eine Blamage!

Zwar hat es in Egmating schon ewig keinen Maibaumklau mehr gegeben, aber wer weiß? Im Maibaumstüberl – so heißt die vorübergehend eingerichtete Lagerstätte fürs Herrichten des Maibaums – sind sie heute jedenfalls zu zweit fürs Bewachen zuständig, der Josef Maier und der Daniel Heiler, der tagsüber als Software-Berater arbeitet. Die beiden sind sich sicher: „Unseren Baum klaut niemand. Der liegt direkt hinter unserem Burschenstüberl, und dahinter ist das Gebäude der Feuerwehr. Den kriegt da keiner raus.“

ein Maibaum wird von einem Mann abgeschliffen

Ein Riesentrumm haben sie sich da ausgesucht: Mehrere Tage dauert es, bis der Josef die 40 Meter lange Fichte schön glatt bekommen hat.

Es ist eine langwierige Arbeit. Die blaue Farbe auf der Eisenschelle etwa muss jetzt erst mal gut durchtrocknen, bevor die nächste Schicht aufgebracht werden kann. Auch der Baumstamm wird nach dem Schleifen erst grundiert, bevor er später bemalt werden kann. „Und in den Stamm sägen wir zwei Kerben rein“, erklärt Josef, der Schreinermeister, „denn dort wird der Baum dann in die Vorrichtung gestellt und verschraubt“. Alles muss einwandfrei sitzen, der Baum und seine Halterung sollen ja die nächsten fünf Jahre überstehen und immer noch gut ausschauen.

In zwei Jahren kommt ein Holzfachmann den Zustand des Baumes prüfen, meistens ein externer Schreinermeister. Noch ein Jahr später wird der TÜV den Baum begutachten und dann entscheiden, ob er die vollen fünf Jahre stehen bleiben kann, oder ob er schon vorher gegen einen neuen ausgetauscht werden muss.

Endlich bekommt der Maibaum sein traditionelles weiß-blaues Ringelmuster.

Inzwischen ist es Ende April geworden. Im Maibaumstüberl riecht es würzig nach Wald, nach Fichtenholz, und jetzt mischt sich der Geruch von frischer Farbe dazu: Heute wird endlich eingeringelt. Seit Wochen bearbeiten sie die Fichte jetzt schon, nach dem Abschleifen und Zuschneiden und Grundieren bekommt der Maibaum jetzt sein traditionelles schräggeringeltes Muster in den Farben des bayerischen Himmels, Weiß und Blau.

Dazu wird eine gespannte Schnur um den Maibaum gewickelt, in gleichmäßigen Abständen, so dass die Farben Blau und Weiß am Ende exakt die gleiche Breite haben. Mit blauer Farbe kommt ein kleiner Klecks auf jeden zweiten Abschnitt: So weiß man dann, welche Farbe wohin gepinselt werden muss.

Eine mit Stickereien verzierte Lederhose
Wer zum Burschenverein gehört, das erkennt man an der Lederhose. Der bestickte Quersattel ist ein kleines Kunstwerk.

Mehrere Menschen in Tracht nehmen am Maibaum-Gottesdienst Teil
Die Madeln mit ihren aufwändigen Flechtfrisuren und die Burschen in ihrem Festtagsgewand – für die Messe haben sich alle rausgeputzt.

Musikertracht hängt über einem Stuhl
Natürlich spielt zu einem solch besonderen Ereignis auch die Musikkapelle auf.

Auch wenn es „Burschenverein“ heißt: Die Arbeit am Maibaum ist nicht nur Männersache. Die Freundinnen und Schwestern sind auch immer wieder mit dabei. „Die Madln versorgen uns mit Brotzeit und helfen fleißig mit“, sagt Daniel Heiler, nicht bloß beim Maibaum: „Weihnachtsmarkt, Weinfest, das alles gehört zur Arbeit im Burschenverein. Da sind sie uns eine große Hilfe.“

Das Gemeinschaftsgefühl, der Zusammenhalt im Dorf – das macht den Zauber des 1. Mai aus.

Und auch für den Haussegen ist es ganz gut, dass die Frauen mit dabei sind – jetzt, wo sich die Männer abends ständig dem Baum widmen anstatt der Freundin. „Das ist manchmal ein Spagat, alles unter einen Hut zu bringen …“, meint Daniel mit einem Augenzwinkern.

Nicht nur die Freundinnen, auch Zuschauer sind immer herzlich im Burschenstüberl willkommen. Das Gemeinschaftsgefühl und der Zusammenhalt im Dorf: Das ist, was den Zauber rund um den 1. Mai in Egmating ausmacht.

„Wir unterstützen auch den Helferkreis im Ort, indem wir Flüchtlinge mit einbeziehen“, erzählt Daniel Heiler. „Immer mal wieder kommen welche vorbei und schauen, was der Baum so macht“. Er freut sich über die Unterstützung aus der Bevölkerung. Bei allen steigt die Vorfreude auf das große Ereignis mit jedem Tag.

Der Maibaum wird von mehreren Männern in Tracht aufgestellt

Ein heikler Moment: Kein Kran sichert den Baum. Wenn er stürzt, dann ist es vorbei.

Und die Spannung auch: Hoffentlich hält das Wetter. Sonst wird es heikel für die Burschen, denn sie wollen den Baum ganz traditionell aufstellen, ohne Kran, nur mit Muskelkraft und Stützstangen. „Und die rutschen auf nassem Boden leichter weg“, erklärt Markus Kätzlmeier, der Vorsitzende des Vereins.

Er hält die Fäden in der Hand und plant genau, wer wann am Baum arbeitet, sorgt dafür, dass das Programm für die Festwoche steht, dass die Burschen und Madln ihre Tänze können – und dass die örtliche Feuerwehr kommt. Die transportiert den riesigen Baum am Vorabend des 1. Mai vom Burschenstüberl zur Festwiese und sichert dafür die Straßen – nicht dass jetzt noch ein Auto reinfährt. Am Rande der Festwiese erwartet das Schmuckstück den kommenden Tag.

Auf geht’s! Jetzt müssen die Burschen ihre Kraft und Ausdauer unter Beweis stellen.

Und das Wetter hält. In der Früh um neun läuten die Kirchenglocken am Ort und rufen alle zusammen. Farbenfrohe, traditionelle Tracht, wohin man schaut, lange Haare zu schmuckvollen Frisuren geflochten, Lederhosen und passende Janker, die messingfarbenen und silbernen Zierknöpfe blank poliert. Der Pfarrer hält die Messe, lange spricht er über Brauchtum und Traditionen.

Dann kann der eigentliche Festakt beginnen, die ganze Gemeinde schließt sich der gutgelaunten Prozession zum Festplatz an. Die Blaskapelle spielt, Freude und Spannung in den Gesichtern der Zuschauer: Werden es die Burschen schaffen, den Maibaum sauber aufzustellen?

Die Traktoren brummen, von einigen Wägen dröhnt Popmusik aus großen Lautsprechern, jede und jeder ist auf den Beinen, um das kräfteraubende Spektakel nicht zu verpassen. Der Baum wird noch gesegnet, das erste Bier ausgeschenkt. Auch befreundete Burschenvereine aus den Orten ringsum samt Madln sind dabei – die Egmatinger müssen jetzt ihre Kraft, ihre Ausdauer und Zusammenarbeit unter Beweis stellen.

Es ist soweit: Die Burschen versammeln sich um den Stamm, packen die Schwalberln, also die überkreuzt zusammengebundenen Stangen, die den Baum aufstemmen sollen. Das Kommando übernimmt jetzt ein ehemaliger Bursche, nämlich Daniels Vater, der Michael Heiler.

Zwischendurch schnell die Hände an der Lederhose abwischen, der Griff muss fest sein.

Er gibt das Zeichen zum Aufwuchten: ein kräftiges „Hoooooch – Auf!“ Das Trumm bewegt sich um ein paar Zentimeter. Sogleich wird nachjustiert, die Burschen rutschen mitsamt den Stangen ein Stück nach vorne.

Kaum auf Position, ertönt wieder ein „Hoch auf!“, begleitet vom Applaus der Zuschauer. Die Anstrengung steht den Burschen ins Gesicht geschrieben, die Muskeln sind angespannt, in der Atempause zwischen zwei Vorschüben schnell die Hände an der Lederhose abgewischt, der Griff muss fest sein, damit die Männer ordentlich zupacken können.

Ein stehender Maibaum der traditionell mit Zunftschildern, der Fahne – und einer Eierkette als Symbol der Fruchtbarkeit dekoriert ist.
Der Baum wird traditionell dekoriert: Mit Zunftschildern, der Fahne – und einer Eierkette als Symbol der Fruchtbarkeit.

Burschen und Madln tanzen in Tracht den Maibaumtanz
Erst mit dem traditionellen Tanz um den Maibaum ist die Tradition vollständig. In den Wochen vor dem 1. Mai hat die Dorfjugend gut geprobt.

Mehrere Männer in Tracht beim Schuhplatteln
Und zur Ambosspolka bieten die Burschen noch ein Schuhplattler.

Jedes „Hoch auf!“ wird von den Zuschauern kommentiert, Anfeuerungsrufe ertönen in der Menge, lauter Jubel und Pfiffe. Immer steiler schiebt sich der Stamm empor. „Auf geht’s, Männer!“, schreit Michael Heiler, denn er weiß gut, wie arg das zehrt: Zwei Stunden dauert die schweißtreibende Plackerei, und jederzeit muss es saubere Maßarbeit bleiben, damit kein Unglück geschieht.

Und dann steht er endlich da. Stolz ragt der neue Maibaum in den Himmel, weiß und blau und ungeheuer hoch. Von seinen vierzig Metern musste er zwar etwas an Länge einbüßen, wegen des Schienenschnitts für die Halterung, aber mit seinen 39,25 Metern ist er trotzdem nicht zu schlagen: Die Egmatinger belegen den ersten Platz beim Maibaummessen der Regionalzeitung. Die belohnt es mit fünfzig Litern Bier und sponsert die Brezn.

 

Der Maibaum wird aufgestellt und viele Menschen schauen zu

Von oben sieht man erst so richtig, was die Egmatinger sich da vorgenommen haben. Und zwar mit Erfolg.

Schreinermeister Josef Meier, der die Entstehung des Maibaums von Anfang an betreut hat, darf das Werk nun sichern: Routiniert schlägt er lange Schrauben durch die vorgebohrten Löcher im Stamm und in der Halterung, um den Baum abzusichern.

Inzwischen hat Regen eingesetzt – aber jetzt darf er das. Der Baum steht jetzt fest und sicher. Mit einer Tannenkette verziert wartet er bloß noch auf seine Zunftschilder, die blau-weiße Fahne – und die extra angefertigte Kette aus Eiern: Dieses Fruchtbarkeitssymbol hängen die Burschen und Madeln noch an den Baum, bevor er eingezäunt wird. Dann spielt die Blaskapelle wieder zum Tanz auf.

Eine Woche lang wird jetzt gefeiert. Wenn sie vorüber ist, kommt die Eierkette wieder runter. Die Zunftschilder aber und die Fahne, die bleiben natürlich auf Dauer dort oben, um schon aus der Ferne von einem stolzen Dorf zu künden.

Text: Cordula Schreiber • Fotos: Bethel Fath

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