Lebkuchen

Nach altem Rezept

Lebkuchen im Schaufenster des Bäckermeisters Düll
Der Beruf des Lebküchners ist schon lange ausgestorben. Aber es gibt noch Bäckermeister, die das alte Handwerk beherrschen und die Tradition aufrecht erhalten. So wie Holger Düll in Nürnberg, bei dem noch immer jeder Lebkuchen von Hand gemacht wird.

 

Der Duft von Orangen und Zitronen zieht durch das ganze Haus und mischt sich mit dem Aroma von Zimt und Honig. Überall riecht es nach Nüssen und Mandeln, verführerische Schokoladenschwaden hängen in der Luft. Ich sehe meine Großmutter mit ihrer blaukarierten Schürze am Herd, wie sie werkelt und schwitzt und jeden aus der Kuchl scheucht, der ihr in die Quere kommt.

Die Weihnachtsbäckerei hatte begonnen, und die Lebkuchen waren wie immer als erstes dran. Jeder fertige „Zelten“, der vorsichtig in die Blechdose mit den goldenen Engeln geschichtet wurde, war von Omas Händen und schmeckte so wie eben nur bei ihr.

In der Backstube des Lebküchners
werden alte Erinnerungen wach

Nostalgische Kindheitserinnerungen sind das, die in der Backstube von Lebküchner Holger Düll in der Nürnberger Mathildenstraße wieder wach werden. Dort, wo man es eigentlich nicht vermutet hätte. Denn mit der Erfindung der Dampfmaschine brach auch beim jahrhundertealten Lebküchner-Handwerk das Industriezeitalter an, das die fabrikmäßige Massenproduktion ermöglichte.

Lebküchner Holger Doll mischt die Masse stets persönlich
Lebküchner Holger Düll mischt die Masse immer selbst – denn nur er kennt das Rezept.

Lebkuchengewürze auf der Waage
Die Gewürzmischung ist eines der streng gehüteten Geheimnisse.

Die Mandeln kommen vor dem Backen drauf, Glasur käme danach
Ob mit Mandeln belegt, mit Glasur oder Kuvertüre: Die Masse ist stets die gleiche.

Bis zu drei Millionen Lebkuchen pro Tag werden während der Weihnachtssaison in einer der großen Nürnberger Fabriken produziert. Bescheidene zwei- bis dreitausend pro Tag schaffen dagegen Bäcker Düll und seine Angestellten, denn jeder einzelne ihrer Lebkuchen wird noch immer von Hand gemacht, und auch die Zutaten werden so weit wie möglich selbst zubereitet.

Das Eiweiß wird wie früher im Kupferkessel
aufgeschlagen – so bleiben die Lebkuchen länger haltbar

Im Hof vor der Backstube lagern Säcke voller Nüsse. Mit ihnen beginnt das Tagwerk der Lebküchner. Frühmorgens um 6 Uhr fangen ein Lehrling und ein Geselle damit an, die Nüsse zu rösten und zu mahlen. Eine eher leichte Arbeit, bevor es daran geht, die Unmengen von Eiweiß aufzuschlagen. Wie anno dazumal in einem Kupferkessel über dem offenen Feuer.

„Das kann schon bis zu 45 Minuten dauern“, sagt Christine  Düll, die die Leidenschaft ihres Mannes für die Lebküchnerei teilt und fachmännisch erklärt, dass der Kupferkessel beileibe nicht nur ein altmodisches Relikt ist. „Heute“, so Frau Düll, „weiß man, dass durch die Hitze Kupferionen gelöst werden, die für eine längere Haltbarkeit der Lebkuchen sorgen.“

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Christine Düll freut sich immer schon im Juni auf die kommende Lebkuchensaison, die bei den Dülls traditionell am ersten Montag im September beginnt. In der kleinen Backstube, die sich über zwei Stockwerke verteilt und in der zehn Meister, Gesellen, Lehrlinge und Saisonaushilfen arbeiten, steht der Besucher ständig irgendwo im Weg. Während Aushilfe Anna ein Blech Lebkuchen mit Mandeln belegt, werden am großen Fleischwolf die kandierten Früchte für die nächste Lebkuchenmasse durchgedreht. „Beim Lebkuchen heißt es Masse, nicht Teig“, betont Christine Düll.

Ein ganzer Berg dieser Masse liegt auf der Holzplatte vor Bäckergeselle Thomas und Lehrling Kai. Ihre Aufgabe ist das Aufstreichen der Lebkuchen. Eine Fertigkeit, die Bäckerlehrlinge heute in ihrer Ausbildung kaum noch lernen.

Handgemachte Lebkuchen haben die typische Kuppel
in der Mitte. Eine Maschine kann das nicht 

Vor den beiden dreht sich eine Art Töpferscheibe, auf diese kommt die Oblate für den Lebkuchen und dann wird mit einem Schaber in einigen schnellen Wischern die Lebkuchenmasse aufgestrichen. Frau Müller ist eine routinierte Aufstreicherin. „Viermal streichen“, sagt sie kategorisch, „dann muss die Masse drauf sein, sonst wird’s zu teuer.“

Und „in drei Minuten muss ein Backblech mit Lebkuchen voll sein“, fügt sie hinzu, ohne beim Streichen auch nur ein einziges Mal innezuhalten. Holger Düll kann sich ob dieses Eifers ein Lächeln nicht verkneifen. Von ihm stammen diese Vorgaben nicht. Wichtig ist ihm nur, „dass der Lebkuchen gut ausschaut“. Gut schaut er dann aus, wenn er in der Mitte die typische Kuppel hat, eine Art Markenzeichen für handgemachte Lebkuchen – eine Maschine bekommt das nicht hin.

Konditormeister Ohr schmilzt Schokolade

Konditormeister Ohr hat es im Gefühl, wann die Kuvertüre perfekt ist

Holger Düll und seine Frau sind froh, dass sie auch bei den Saisonkräften immer wieder auf die gleichen Mitarbeiter zurückgreifen können, die das Handwerk der Lebküchnerei beherrschen, das heute nur noch praktisch in traditionellen Familienbetrieben weitergegeben wird. Im Mittelalter, als sich Nürnberg durch seine Lage an den Gewürzhandelsstraßen und inmitten von riesigen Reichswäldern mit ihren Imkereien zu einem Zentrum der Lebkuchenherstellung entwickelt hatte, war Lebküchner ein Lehrberuf. „Bis zu sieben Jahre dauerte die Lehre“, erzählt Christine Düll. Und danach war noch eine zweijährige Walz vorgeschrieben. Von der erhoffte man sich neues Wissen für die Zunft.

Ein Wissen, das aus einem einst brotähnlichen Gebäck schließlich einen feinen Lebkuchen werden ließ. Wie so oft war es allerdings eine „Erfindung“ der Klöster, die die Lebkuchenherstellung erst ermöglichte. Ihre Oblaten boten beim Backen den nötigen Schutz vor der Hitze, lange bevor es Backbleche gab.

Sein ganz eigenes Rezept hütet jeder
Lebkuchenbäcker wie ein Staatsgeheimnis 

Die Lebküchnerei entwickelte sich zu einem lukrativen Wirtschaftszweig, und Lebkuchen waren keineswegs nur in der Weihnachtszeit gefragt. Es gab sie das ganze Jahr über und schon damals in vielen Sorten, vom Honiglebkuchen bis zum reinen Haselnusslebkuchen. Berühmt wurde vor allem der Elisenlebkuchen, der auch in der Bäckerei Düll gebacken wird. Ein Lebküchner soll ihn 172o für sein schwerkrankes Töchterchen gebacken haben, das daraufhin gesund wurde. Die Tochter hieß Elisabeth und gab dem Lebkuchen seinen Namen. Damals wie heute hatte jeder Lebküchner sein ganz eigenes Rezept, das er wie ein Staatsgeheimnis hütete.

Auch Bäckermeister Holger Düll mischt die Masse für seine Lebkuchen eigenhändig, wie schon sein Vater und sein Großvater, der das Geschäft vor 8o Jahren gründete. Auf seine Waage häuft er nacheinander Nussmarzipan und normales Marzipan, Orangeat, Zitronat und Aprikosenmarmelade.

Säckeweise Haselnüsse – ohne sie gibt's keine Lebkuchen
Frühmorgens um 6 Uhr beginnen Lehrling und Geselle ihr Tagwerk. Als Erstes kommen die Nüsse.

Geröstete Haselnüsse – das Herz jedes Nürnberger Lebkuchens
Das Beste, was Haselnüssen passieren kann: Beim Rösten entfaltet sich ihr ganzes Aroma.

Die Schokoglasur – bis zu 30 Gramm auf jedem Lebkuchen
Eine wundervolle Baazelei – die Schokoladenglasur macht den Lebkuchen perfekt.

Nüsse und Gewürze, die vorher frisch in der Gewürzmühle gemahlen wurden, kommen mit dazu in den Rührkessel, der eine Masse für 400 bis 500 Lebkuchen fasst. Etwa vier Tonnen Nüsse und 300 Kilogramm Gewürze werden in der Saison verbraucht, sagt der Bäckermeister.

Was in die Düll’schen Lebkuchen kommt, kann man sehen und später auch schmecken. Aber wie viel wovon, das ist Holger Dülls Geheimwissen. Selbst seine Frau sagt, dass sie das Rezept, „das irgendwo in einem Tresor verwahrt wird“, nicht kenne. Einzig ihrem Mann wurde es anvertraut, als er in die Fußstapfen des Vaters trat. Auch sein Bruder sei nicht eingeweiht worden. Holger Düll ist der alleinige Geheimnisträger in der Familie, und das wird wohl so bleiben, bis eines Tages vielleicht sein ältester Sohn den Betrieb übernimmt.

Die Frau des Lebküchners ist experimentierfreudiger:
Bei ihr gibt’s auch mal eine rosa Punschglasur

Wenn es so weit ist, werden die Lebkuchen aus der Bäckerei Düll vermutlich einen Hauch anders schmecken als heute, denn das streng gehütete Rezept ist nicht für alle Zeiten unumstößlich festgeschrieben. „Jeder Lebküchner verändert die überlieferte Rezeptur ein bisschen“, gesteht Frau Düll freimütig, „mein Schwiegervater hat das getan, ebenso mein Mann, und gerne darf es auch einmal unser Sohn tun.“

Sie selbst ist ohnehin recht experimentierfreudig – wo es ihr erlaubt ist, bei den Glasuren und Kuvertüren. Vorne im Laden der Bäckerei sticht neben einer rosafarbenen Punschglasur ein grelloranger Lebkuchen ins Auge. Er ist mit Orangenschokolade überzogen und gehört mittlerweile fest zum Sortiment.

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Doch zunächst war Frau Düll mit ihrer Idee in der Backstube auf kollektive Verweigerung gestoßen. „Die haben einfach ,Nö‘ gesagt“, erinnert sie sich und muss schmunzeln, weil ihr Schwiegervater den neonfarbenen Lebkuchen bis heute nicht probiert hat. Tatsächlich ist es nur die Glasur, die bei den Düll’schen Elisenlebkuchen den Unterschied macht. Die Masse ist immer gleich, ob der Lebkuchen nun weiß, hellbraun, dunkelbraun oder eben orange ist.

20 bis 30 Gramm feinste Schokolade kommen auf jeden Lebkuchen. Konditormeister Ohr schmilzt gerade eine Schüssel voll über dem Wasserbad. Wann die Schokolade die richtige Konsistenz hat, hat er als alter Hase im Gefühl, ein Thermometer braucht er dazu nicht.

Rösten, mahlen, streichen, backen, trocknen –
zwei Tage dauert es, bis ein Eisenlebkuchen fertig ist

Seine Glasur ist das i-Tüpfelchen auf jedem Elisen, der nach zwei Tagen schließlich fertig ist. So lange dauert die Herstellung mit Trocknen, Backen und allem Drum und Dran.

„Mit Maschinen ginge vieles schneller und leichter“, sagt Christine Düll fast ein bisschen sehnsüchtig. Denn es ist keineswegs so, dass sie und ihr Mann technikfeindlich wären. Aber zum einen liegt ihre Backstube in einem denkmalgeschützten Jugendstilhaus, wo kaum eine Wand versetzt werden darf, um Platz für eine Maschine zu schaffen. Zum anderen ist ihre Lebkuchenmasse für die maschinelle Verarbeitung ungeeignet, die Rezeptur müsste dafür verändert werden.

Lebkuchen in der Verkaufsvitrine – nur drei von vielen Sorten

Wer kann da widerstehen? Die berühmten Nürnberger Elisenlebkuchen – jeder einzelne von Hand gemacht

So wird aus der Not eine Tugend. Denn „wir wollen keine maschinenfreundliche Masse, sondern die besten Lebkuchen“, sagt Christine Düll entschieden. Ihre Kunden bestätigen sie darin. Über das Internet gehen ihre Lebkuchen mittlerweile in alle Welt – von Österreich über Chile und Malaysia bis nach Südafrika.

Ein Päckchen mit Elisen aber schickt Christine Düll wie jedes Jahr nach Bozen. Dort hat die Firma einen ihrer Stammkunden. Es ist ein blinder Herr, der einmal mit seiner Frau eine Städtereise nach Nürnberg machte. Irgendwann wurden ihm die Kirchenbesichtigungen zu viel. Während die Reisegruppe die Sebalduskirche bestaunte, stahl sich der Mann davon, und ein Duft lockte ihn den Berg hinauf. Er folgte dem Geruch bis zu dem Laden, aus dem er kam, und fragte, was das für ein Geschäft sei, weil es hier so gut rieche. Er stand in der Tür der Lebküchnerei Düll.

 


Kontakt
Lebküchnerei  Düll  •  Mathildenstr. 28   •   90489 Nürnberg   •   Telefon 0911 552834
www.lebkuchen-nuernberg.com

Text: Rosina Wälischmiller • Fotos: Philipp Schieder

Schreiben sie eine E-Mail an die Autorin

EIN FEINES LEBKUCHENREZEPT

Lebküchner Holger Düll schneidet Nussmarzipan vom Block

„Sein“ Rezept lässt sich Holger Düll natürlich nicht entlocken. Aber dieses hier hat er für „Grüß Gott!“ preisgegeben …

Sie brauchen:

300 g Eiweiß
 300 g Zucker
8 g Ammonium
♥ 20 ml Wasser
♥ 270 g fein geriebene Mandeln, leicht angeröstet
♥ 270 g gehobelte Mandeln, leicht angeröstet
♥ 150 g Weizenmehl
♥ 100 g Zitronat
♥ 100 g Orangeat
 25 g Lebkuchengewürz­mischung
♥ 50 g Honig


Und so geht’s: 

Eiweiß mit dem Zucker zu Eischnee schlagen.

Ammonium und Wasser mischen und den Eischnee unterheben.

Mandeln, Mehl, Zitronat, Orangeat und Lebkuchengewürz vermischen und unter den Eischnee melieren (ziehen).

Zum Schluss den Honig beigeben.

Die fertige Masse sofort auf Oblaten streichen (je 65 g bei einem Oblaten-Durchmesser von cirka 10 cm).

Im trockenen warmen Raum etwa 40 Minuten trocknen lassen.

Bei offenem Ofenzug auf 200 bis 210 Grad backen.

Nach dem Erkalten mit Kuvertüre überstreichen oder mit Fadenzuckerglasur (250 g Zucker in 100 ml Wasser auf 107 Grad erhitzen) bepinseln.