Essen auf dem Land

So schmeckt die Kindheit

Essen auf dem Land
„Essen auf dem Land“ ist Kochbuch, Naturführer und Saisonkalender. Es steckt voller Erinnerungen: an das Essen von früher, an die Oma – und manchmal auch den Nikolaus.

Die Erinnerung setzt unweigerlich ein, wenn ich Nikoläusen in der Stadt begegne oder die Lego-Regale eines Spielwarenladens inspiziere, rein zufällig, versteht sich. Es war ein dunkler Dezembernachmittag Ende der Siebzigerjahre auf dem Kärntner Land, wo ich bei meinen Großeltern aufgewachsen bin. Ich war neun oder zehn Jahre damals und saß in dem Sessel, wo mein Opa normalerweise Kreuzworträtsel löste, mit mir Schwarzer Peter spielte oder Wiener Schnitzel mit Erbsenreis verspeiste. Ich saß in seinem Sessel, und vor mir stand der Nikolaus.

Warum lugte aus dem Korb des Nikolaus die Lego-Bodenplatte, die meine Oma gekauft hatte?

Viel Platz war nicht in unserem Wohnzimmer, und deswegen war es auch eine weise Entscheidung des Nikolaus, den Krampus nicht mitzubringen, weil der in unserem winzigen Flur hätte warten müssen, was meiner Oma ziemlich peinlich gewesen wäre. Der Nikolaus murmelte etwas aus seinem goldenen Buch, aber ich verstand kein Wort, weil ich mir die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrach, warum der riesige Mann seine Geschenke für mich in dem Einkaufskorb meiner Oma in unser winziges Wohnzimmer geschleppt hatte. Und warum aus dem Korb die von mir lange begehrte grüne Lego-Bodenplatte lugte, von der ich wusste, dass meine Oma sie erst vor ein paar Tagen selbst gekauft hatte.

Gewürze

Trotz dieser Irritation trug ich dann als ordnungsgemäß erzogenes Streberkind noch mein kleines Gedicht unfallfrei vor, als hätte es eines letzten Beweises bedurft, dass ein Krampus hier und heute nicht vonnöten war. Kaum war der Nikolaus weg (er hatte sogar den Korb da gelassen!), schnappte ich mir schließlich ein paar von Omas Anisplätzchen, meinen Lieblingskeksen, die so wunderbar anissig schmeckten, und die man mit dem Gaumen oben einbrechen konnte. Das Rezept der wunderbar anissigen Anisplätzchen meiner Oma steht in dem Buch „Essen auf dem Land“ auf Seite einhundertvierzehn. Es steht dort neben einhundertvierundzwanzig weiteren Rezepten von noch ganz anderen Omas und neben mehr als fünfzig Früchten, Beeren, Wurzeln, Knollen, Nüssen und so weiter.

„Essen auf dem Land“ ist Saisonkalender, Kochbuch und – eine Sammlung von Erinnerungen

Unser Buch „Essen auf dem Land“ führt durch das ganze Jahr und stellt Woche für Woche all das vor, was unsere Natur passend zur Saison hervorbringt: wie man zum Beispiel Radieschen am besten anbaut (neben Karotten, nicht neben Gurken), wie gesund Blumenkohl ist (sehr! Blumenkohl hat mehr Vitamin C als Orangen), woher die Pastinake ihren Namen hat (von der Pest) und vieles mehr. In einer Zeit, in der viele Kinder Erdbeeren nur als Geschmacksrichtung beim Joghurt kennen und auf die Frage, woher denn die Milch komme, mit „Tetrapak“ antworten, ist „Essen auf dem Land“ Naturführer, Saisonkalender, Kochbuch und, das vor allem, eine Sammlung von Erinnerungen.

Radieschen

„Essen auf dem Land“ ist mit Hingabe gestaltet, so wie unsere Großmütter früher auch mit Hingabe ihren Alltag und das Leben mit der Natur gestaltet haben: mit vier Lesebändchen für jede Saison, mit selbstklebenden Etiketten für Marmeladen und Eingemachtes, mit einem eingesteckten Saisonkalender in Postergröße zum Aufhängen und mit zahlreichen liebevollen Illustrationen: leicht pastellige Aquarelle, in schönen Farben, reduziert auf das Wesentliche, das Gute. „Aquarelle in schönen Farben, reduziert auf das Wesentliche, das Gute“ – das sind ja aber nicht nur die Illustrationen in unserem Buch, das gilt auch für unsere Erinnerungen insgesamt.

Ich sehe meine Oma oft mit einer Schürze in der Küche stehen, wo es verheißungsvoll duftet, und wo sich später auf der rot-weiß karierten Leinentischdecke Kartoffelsuppen (Seite dreiundneunzig), Marillenknödel (Seite sechsundsiebzig) und Rhabarber-Streuselkuchen (Seite zweiundfünfzig) abwechseln. Dieser wohlig-warme Mantel der Erinnerung breitet sich gnädig über Erlebnisse und Erfahrungen, die vielleicht nicht so glücklich und satt gemacht haben wie die erste Schüssel frisch gezuckerter, roter Johannisbeeren, die hinter der Garage im Gemüsegarten gewachsen sind. Meine Oma war beleidigt, wenn die Noten schlecht waren (eine Drei plus zum Beispiel). Mein Opa war oft aufbrausend, pedantisch und nutzte seinen Sessel unter anderem auch dazu, um mich morgens mit der Stoppuhr in der Hand das kleine Einmaleins abzufragen.

Marillen

Erinnerungen werden dann am stärksten und drängendsten, wenn man vermisst

Das Leben damals war eben nicht immer nur heimelig, folgte dem Lauf der Natur oder schmeckte nach Selbstgemachtem. Damals waren meine Großeltern durchaus moderne Menschen, die dem Fortschritts- und Technikglauben der Siebziger gerne folgten, einen goldenen Ford Capri in der Garage stehen hatten, den Libanon und Ostberlin bereisten, Rindsbraten mit einem elektrischen Messer zerteilten und mit Freude die in Mode kommenden Tiefkühlfertigprodukte kauften. Damit werden meine Großeltern bei mir jedoch nicht präsent bleiben, weil ich selbst schon viel auf Reisen war, jeden möglichen Technik-Schnickschnack besitze und es Perioden in meinem Leben gab, in denen ich freudlos die Tiefkühlregale leer gekauft habe. Erinnerungen werden dann am stärksten und drängendsten, wenn man vermisst: geliebte Menschen, glückliche Tage, Gesten, Gerüche, Geschmäcke – oder Momente der Erdung in unseren mobil-digital-globalisierten Zeiten, in denen wir uns intensiv damit beschäftigen, wie wir am besten überall hinkommen, aber kaum mehr damit, wo wir herkommen. Dann können Erinnerungen unglaubliche Kraft entfalten. Dann werden Erinnerungen zu einem Motor der Veränderung, zum Antrieb, Neues zu schaffen.

„Essen auf dem Land“ hilft gegen Heiserkeit und bei schwierigen Quizfragen

Deshalb gibt es das Buch „Essen auf dem Land“. Es erinnert uns an Heimat für jeden von uns, es schafft einen neuen Zugang zu alltäglichen Lebensmitteln, über die wir uns keine Gedanken mehr machen, weil sie immer und überall verfügbar sind. Es schafft Raum für ganz persönliche Erinnerungen, und es ist Inspiration für unser Leben heute: für die Küche, für die Hausapotheke, für die Quizshow.

Brot und Weizen

Für ciabattaverwöhnte Latte-Macchiato-Ladies gerät es zum letzten Abenteuer unserer Zeit, mal ein einfaches Landbrot selbst zu backen (Seite zweiundzwanzig, den Laib kreuzförmig einschneiden, nicht vergessen!), und statt bei Heiserkeit Dorothry… oder so ähnlich einzunehmen, wirkt auch Folgendes Wunder: „Eine große Zwiebel in Scheiben schneiden und mit einem Vierteliter lauwarmem Wasser übergießen. Drei bis vier Stunden ziehen lassen. Das Wasser gurgeln und einen kleinen Schluck davon trinken. Das Ganze zwei- bis dreimal täglich wiederholen“ (Seite einhundertsieben). Dass es sich hierbei um ein Geheimrezept von Opernstar Luciano Pavarotti handelt, bringt mich zu meiner Kollegin Rosina Wälischmiller, die bei einer Quizsendung ihre gesamte Familie vor dem heimischen Fernseher damit verblüffte, weil sie wusste, dass es der römische Kaiser Nero war, den man „Porrophagus“ („Lauchfresser“, Seite acht) nannte und Alma-Ata „Stadt des Apfels“ (Seite einundneunzig) bedeutet.

Also wird es Ihnen nach der Lektüre unseres Buches vermutlich so gehen wie meinem Opa in seinen besten Momenten: gewappnet für jede Art von Rätseln und nach dem Essen in der Küche stehend, wo er nochmal schnell und heimlich die Töpfe ausschleckte. Wir wünschen Ihnen viel Freude mit „Essen auf dem Land“, ein feines Händchen für Ihr Selbstgemachtes, das Sie mit den Etiketten schmücken können, einen guten Platz in der Küche für den Saisonkalender und ein glückliche Zeit voller Erinnerungen.

ESSEN AUF DEM LAND

Hardcover, 27,0 x 22,5 cm
120 Seiten
ISBN: 978-3-9811385-2-8
André Lorenz Medien

15,00 € (D)

16,50 € (A) • 23,00 sFr (CH)